- Migrantenliteratur
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MigrantenliteraturBezeichnete der Begriff des Exils vor allem das Leben in einer fremden Umwelt als Folge der auf Zeit angelegten Flucht vor politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung, eine Existenz, die von der Hoffnung auf Rückkehr geprägt ist und als »Wartesaal-Leben« bezeichnet wurde, so ist »Migration« der in jüngerer Zeit verstärkt verwendete Begriff für den meist endgültigen Weggang aus einem geographisch und kulturell vertrauten Raum und die Konfrontation mit einem unbekannten Lebensumfeld, das dem Migranten zunächst verschlossen bleibt. Für die Erscheinung der heute in aller Welt zu beobachtenden Wanderungsströme von Land zu Land sind neben den (nach wie vor und weltweit) stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen vor allem das wirtschaftliche Nord-Süd- sowie das West-Ost-Gefälle und der kulturelle Einfluss der (ehemaligen) Kolonialmächte verantwortlich. Diese Phänomene ließen immense Teile der Welt mitsamt ihrer Bevölkerung »an den Rand« rücken, während die Industriestaaten der nördlichen Hemisphäre zur »Mitte« wurden. In jedem Land - und kaum eines ist davon ausgespart -, in dem sich Migration beobachten lässt, stellt sich diese nach den jeweiligen politischen, sozialen, ökonomischen und allgemeinen kulturellen Gegebenheiten unterschiedlich dar.Literaturproduktion ist dabei eine Bewältigungsstrategie; sie kann dem literarisch Tätigen einen Ausweg aus dem Zwiespalt zwischen Heimatlosigkeit und Erleben der Fremde bieten, sie kann Brücken zwischen Mutter- und Gastland schlagen und schließlich eine neue, bikulturelle Identität hervorbringen. In allen literarischen Auseinandersetzungen mit der (je nach Sichtweise) Fremde oder neuen Heimat lassen sich typische Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmuster ausmachen: Sie reichen von einer engen Rückbindung an die verlassene Heimat über das Erleben eines Kulturschocks und der Fremdheit bis hin zu Erfahrungen von Selbstständigkeit und Befreiung. In den postkolonialen Staaten der Dritten Welt wird die Lage dadurch komplizierter, dass die »fremde« Kultur das Leben auch der Daheimgebliebenen überlagert und dominiert. In Afrika ist so eine englisch- oder französischsprachige Literatur entstanden, deren Vertreter das Bildungssystem der jeweiligen Kolonialmacht durchlaufen haben und es (mit unterschiedlicher Integrationsleistung) in ihrer literarischen Produktion mit den Einflüssen der einheimischen Kultur zusammenbringen: Die Autoren sind schlimmstenfalls Fremde im eigenen Land und bestenfalls Kosmopoliten, die dem Ziel der interkulturellen Identitätsfindung nahe kommen.Ökonomische Unsicherheit, soziales Elend, korrupte Regierungen und staatliche Unterdrückung in den neuen Nationen der postkolonialen Welt haben viele Schriftsteller nach einer anfänglichen Euphorie über die nationale Unabhängigkeit oft zum Weggehen bewogen. Die meisten entstammen einer privilegierten Schicht, haben eine europäisch geprägte Bildung genossen und leben heute über die Welt verstreut. Ihre literarischen Themen sind die nationale oder historische Wurzellosigkeit, der Kulturschock, das Aufeinanderprallen verschiedener Welten. Dabei decken sie Klischeevorstellungen, rassistische Vorurteile und Machtstrukturen auf. Von ihrem politischen Anspruch her sind sie häufig antiautoritär, multikulturell und um Integration bemüht.Die besondere »Zwischenposition« dieser Migrantenschriftsteller, die ihnen erlaubt, zwei Kulturen kritisch zu beleuchten und kreativ zu bearbeiten, hat eine Literatur hervorgebracht, die mit dem Begriff »hybrid« zu charakterisieren ist. Es ist eine Mischung kultureller Einflüsse, ein Spiegel der Realität, wie sie sich zum Beispiel in manchen Stadtteilen Londons präsentiert, die eher Lagos, Trinidad oder Kalkutta ähneln als den herkömmlichen Vorstellungen von der britischen Hauptstadt - ebenso wie es Quartiers in Paris oder Marseille gibt, die an Dakar oder Tunis erinnern, Straßenzüge in Amsterdam und Den Haag, in denen sich die Neubürger aus der Karibik oder Indonesien zusammengefunden haben; desgleichen Wohngegenden in Berlin oder Köln, in denen die türkischen Zuwanderer fast unter sich leben - hier kein postkoloniales Phänomen, aber der Effekt wirtschaftlicher Dominanz ist der Gleiche. Und auch im viel beschworenen Schmelztiegel der amerikanischen Großstädte finden sich Chinatowns und andere ethnisch definierte »neighborhoods«. Das dementsprechend unendlich vielschichtige Spektrum von Migrationserfahrungen und deren literarische Verarbeitung soll am Beispiel der indoenglischen Migrantenliteratur und der Chicanoliteratur in den USA (dem Schaffen der nach den USA gewanderten Mexikaner) verdeutlicht werden, um angesichts der Unmöglichkeit einer globalen Betrachtung charakteristische Einstellungen zu beschreiben.In den Werken der Migrantenschriftsteller kommt eine Vielzahl von Stimmen, Stilen, Geschichten und Legenden zu Wort, die das Bild von der Vormachtstellung der kolonialen Kultur gründlich ins Wanken gebracht hat und den Blick auf eine längst Realität gewordene multikulturelle Gesellschaft lenkt. Fast alle Schriftsteller des britischen Commonwealth etwa schreiben in der Sprache der ehemaligen Kolonialherren; fast alle werden in englischen oder amerikanischen Verlagen publiziert - dies eine ökonomische Notwendigkeit, da in den postkolonialen Gesellschaften weder das Verlagswesen entsprechend ausgebildet ist noch finanzierbare Auflagen möglich wären, würde man sich nicht der Weltsprache Englisch bedienen.Gerade die aus Indien stammenden Migranten bilden, wie Salman Rushdie angemerkt hat, eine Gemeinschaft, die sich aus den sehr verschiedenen religiösen, ethnischen und historischen Gruppen des Subkontinents zusammensetzt. Gemäß ihren multikulturellen Erfahrungen ist auch ihr Englisch eine hybride Mischbildung. Es hat sich in der neuen Umwelt - ähnlich wie das Amerikanische nach der Unabhängigkeit von Großbritannien - zu einer eigenen, facettenreichen Variante entwickelt, die manchmal »Hinglish« genannt wird.Als eine kulturelle Unabhängigkeitserklärung wurde Salman Rushdies Roman »Mitternachtskinder« (1981) gewertet. Der Held der Erzählung, Saleem Sinai, wird am 15. August 1947 um Mitternacht in Bombay geboren, also in dem Augenblick, in dem die britische Kolonialherrschaft endet. Er durchwandert in den folgenden 30 Jahren fast den gesamten indischen Subkontinent. Die Darstellung seiner Abenteuer ist ein Versuch, das chaotische, vielschichtige Ganze einschließlich des Irrealen und des Magischen jenseits der Realität einzufangen. Dazu greift Rushdie auf Bilder und Geschichten indischer Mythen und Legenden zurück, auf indische Filme und das Leben in den Basaren. Er schreibt einen vielstimmigen Text mit religiösen, parodistischen, umgangssprachlichen Zitaten, die allesamt die Eigenständigkeit der postkolonialen Kultur in Indien unterstreichen und diese »Mischform« selbstbewusst zu einer Kulturäußerung des Zeitalters der Globalisierung erklären.Weltweit Aufsehen erregt hat Rushdie mit seinem vierten Roman »Die Satanischen Verse« (1988), nicht wegen seiner - unbestreitbaren - literarischen Qualitäten, sondern wegen bestimmter Passagen, vor allem der Darstellung des Propheten Mohammed und dessen Frau, für die er von muslimischer Seite wegen Blasphemie verurteilt wurde. »Die Satanischen Verse« sind jedoch nicht als ein gotteslästerliches Buch geschrieben, sondern als ein Roman über den Glaubensverlust. Er wird damit zu einem Beispiel heutiger Migrantenliteratur, in dem London als reale Kulisse für aktuelle Probleme und Konflikte dient. Am Beispiel seiner beiden indischen Protagonisten Gibril Farishta und Saladin Chamcha, die nach einem terroristischen Anschlag auf einen Jumbo-Jet der Air India unversehrt aus 29 002 Fuß Höhe auf englischen Boden fallen, fragt der Autor nach der Identität von Menschen, die von gegensätzlichen Kulturen geprägt sind und nicht mehr wissen, wohin sie gehören. Es geht ihm um die Ungeborgenheit nicht nur der Immigranten aus der »Dritten Welt«, sondern des modernen Menschen überhaupt. Auch hier setzt Rushdie alle Mittel des Fantastischen und Wunderbaren ein, benutzt Verfremdungseffekte, Ironie, Parodie und Satire, um sich wortgewaltig gegen Herrschaftssysteme aller Art zu wenden. Von Teilen der muslimischen Welt jedoch wurde der Roman mit den Mustern ihrer fundamentalistisch-religiös geprägten Kultur gelesen - ein Missverständnis, das exemplarischer nicht sein könnte und das den Menschen Rushdie in besonders tragischer Weise zwischen die kulturellen Reibungsflächen hat geraten lassen.Die indoenglischen Schriftsteller setzen sich selbst in der zweiten Generation immer wieder mit ihrer alten Heimat auseinander. V. S. Naipaul, der 1932 in Trinidad geboren wurde und dessen Großvater bereits in die Karibik emigriert war, kehrt als Außenseiter nach Indien zurück. Drei seiner fast zwei Dutzend Bücher (zu den bekanntesten zählen die Romane »Ein Haus für Mr. Biswas«, 1961, und »An der Biegung des großen Flusses«, 1979) sind Schlüsseltexte über Indien. Alle seine Werke schildern den Zusammenprall der Dritten mit der Ersten Welt, handeln von den Auswirkungen des Kolonialismus. Seine wurzellosen Helden sind stets auf der Suche nach ihrer Identität.Doch viele Schriftsteller sehen ihre Emigration als eine Befreiung. So schreibt Amitav Gosh in »Schattenlinien«: »Verstehst du jetzt, warum ich mich entschieden habe, in London zu leben? Verstehst du es? Einzig und allein, weil ich frei sein will!« Auch Bharati Mukherjee, die aus Bengalen und dem Punjab stammt und nach einem Zwischenaufenthalt in Kanada in die USA emigrierte, sieht ihre Entfernung von Indien nicht als Verarmung, sondern als Erweiterung ihrer kulturellen und ästhetischen Erfahrung.Die Emigranten der zweiten Generation unterliegen jedoch auch noch stärker den Spannungen zwischen zwei Kulturen als ihre Eltern, stehen der kulturellen Tradition des Mutterlandes genauso kritisch gegenüber wie der englischen, die ihnen oft mit rassistischen Vorurteilen begegnet. Ein typischer Vertreter ist Hanif Kureishi, der 1954 als Sohn einer Engländerin und eines Pakistani in London geboren wurde und dort aufwuchs. Seine Dramen und Drehbücher (vor allem »Mein wunderbarer Waschsalon« und »Sammy und Rosie tun es« ) und sein Roman »Der Buddha der Vorstädte« (1990) spiegeln das konfliktträchtige Straßenleben des heutigen multikulturellen London, das eine Dritte-Welt-Stadt mitten in Europa geworden ist. Aufgrund seiner bikulturellen Herkunft kann Kureishi zwischen zwei Kulturhorizonten pendeln und beide in bissiger Satire kritisch unter die Lupe nehmen.Migrantenliteratur ist auch ein sich immer stärker etablierender Bestandteil der US-amerikanischen Kulturlandschaft. Schließlich sind die USA eine Nation von Einwanderern aus allen Teilen der Welt. Afroamerikanische (auch die Verschleppung in die Sklaverei ist ein Aspekt von Migration), asiatisch-amerikanische, hispanoamerikanische, jüdische und einheimische indianische Schriftsteller (letztere ein weiteres Beispiel für die Kolonialisierung im eigenen Land) sind seit etwa den Sechzigerjahren verstärkt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt und haben den traditionellen Literaturkanon weißer Amerikaner gesprengt.Einen besonderen Stellenwert nimmt hier die Literatur der mexikanisch-amerikanischen Einwanderer ein, der Chicanos (das Wort leitet sich von »mexikano« her). Etwa 80 Prozent von ihnen leben in den Städten, die anderen sind in der Landwirtschaft beschäftigt, häufig als Wanderarbeiter. Viele sind nur mangelhaft ausgebildet und ökonomisch benachteiligt. Es gibt unter ihnen große Unterschiede aufgrund von Klassenzugehörigkeit, rassischer Herkunft und Grad der Einbindung in die neue Kultur. Gemeinsam ist ihnen allerdings Stolz auf ihr kulturelles Erbe und - im Unterschied zu anderen Migranten in den USA - eine enge Verbindung zur Heimat. Die meisten sprechen neben Englisch auch Spanisch und gehören der katholischen Kirche an.Die Schriftsteller der Chicanos setzten einen politisch motivierten Neuanfang mit der Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigerjahren, initiiert durch den Streik kalifornischer Landarbeiter, die einen landesweiten Obstboykott durchsetzten, um Minimallöhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Unterstützt wurden sie von Luis Valdez und seinem Teatro Campesino, einer Art Agitproptheater. Die Stücke übten auf die Einwanderer einen politisierenden Einfluss aus, und sie hatten große Wirkung auf andere Schriftsteller, die sich nun stolz zu ihrer Rasse (»la raza«) und ihrem Herkunftsland bekannten, anstatt sich wie ihre Vorfahren möglichst schnell dem amerikanischen Lebensstil anzupassen. Es entstanden zahlreiche neue Parteien, Organisationen und Gewerkschaften, eigene Zeitschriften und Verlage.Die Lyrik, Prosa und Drama der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre war vornehmlich politische Protestliteratur. Neben den Produktionen des Teatro Campesino hatte vor allem das epische Gedicht »I Am Joaquin/Yo Soy Joaquin« (1967) von Rodolfo »Corky« Gonzales bahnbrechende Wirkung. In seinen rund 500 Versen stellt Gonzales, Gründer des »Kreuzzuges für Gerechtigkeit« in Denver (Colorado), den Prozess der Selbstfindung des Rebellen Joaquin dar, indem er die Geschichte der Chicanos bis in die vorkolumbianische Zeit hinein verfolgt, um aus ihr die gegenwärtige, von großen Widersprüchen und sozialen Spannungen geprägte Situation zu erklären und um Selbstbewusstsein und Stolz auf »la raza« zu erzeugen. Der Rückgriff auf Götterfiguren, Rituale und Alltagselemente des Aztekenimperiums soll Identität schaffen. Auch der Lyriker Alurista ist ein Aktivist, dessen häufig bilinguale Gedichte Politik und Ästhetik, Geschichtsbewusstsein und vorkolumbianische Bildlichkeit beispielhaft verschmelzen. Sie haben das Ziel, die Chicanos aus ihrer - auch von ihnen selbst verinnerlichten - kolonialisierten Situation zu befreien und ihnen eine eigene kulturelle Alternative anzubieten. José Montoyas Gedicht »El Louie« (1972) setzt dem jugendlichen Rebellen aus den Gettos der Vierziger- und Fünfzigerjahre ein Monument, dem »pachuco«, der sich mit einer speziellen Kleidung und einem eigenen Sprachstil der Anpassung an den amerikanischen »mainstream« verweigerte.Auch in Romanen gehen die Chicano-Schriftsteller seit Ende der Sechzigerjahre verstärkt auf die soziale Situation der Wanderarbeiter und die Bewohner in den städtischen »barrios« ein. Protest und Identitätssuche sind charakteristische Kennzeichen einer experimentierfreudigen Literatur. Eines der bekanntesten Werke ist Rudolfo A. Anayas Roman »Segen der Curandera« (1972), in dem der Reifeprozess des siebenjährigen Antonio in einer ländlichen Gemeinde New Mexicos Ende der Vierzigerjahre geschildert wird. Antonio lebt im Spannungsverhältnis zwischen einer christlich-katholischen und einer magisch-heidnischen Weltsicht, welches die Curandera Ultima, eine naturverbundene, nach den Überlieferungen der Folklore gestaltete Heilerin, ihn zu einer Synthese zu vereinbaren lehrt. Er lernt, aus Elementen einer einheimischen Vergangenheit und der spanischen Tradition sowie aus der Kraft einer magischen, zyklischen Natur zu schöpfen und eine neue Identität als Chicano-Schriftsteller zu gewinnen.Die optimistische Zukunftsvision einer transformierten, multikulturellen amerikanischen Gesellschaft ist nach Vietnamkrieg und Reagan-Ära einer starken Ernüchterung gewichen. Die Literatur ist spätestens seit Ende der Siebzigerjahre weniger explizit politisch, dafür aber vielseitiger und experimentierfreudiger. Besondere Kreativität zeigen hier wie anderswo die Autorinnen, die immer wieder aufmerksam machen auf die dreifache Unterdrückung der Dritte-Welt-Frau, nämlich aufgrund ihrer Rasse, ihrer Klasse und ihres Geschlechts. Sie rebellieren häufig gegen die patriarchalischen Strukturen ihrer Gesellschaft, ohne jedoch ihre Wurzeln negieren zu wollen. Viele suchen eine eigene, selbstbewusste und selbstbestimmte Identität in einer Kultur, die weder amerikanisch noch mexikanisch ist, sondern sich zu einer spezifischen Grenzkultur entwickelt hat und somit der Hybridität der indoenglischen Literatur entspricht. Besonders erfolgreich ist Sandra Cisneros' Roman »Das Haus in der Mango Street« (1983). In 44 Vignetten schildert die Autorin das Heranwachsen der jungen Esperanza Cordero in einem großstädtischen »barrio«, in dem sie Erfahrungen mit Rassismus und einer patriarchalisch geprägten Alltagswelt macht, aber auch Geborgenheit und Identität findet. Indem sie lernt, ihre Herkunft zu akzeptieren und gleichzeitig Abstand zu nehmen, gewinnt sie einen kreativen Freiraum und eine eigene Stimme. Ana Castillo, Lyrikerin und Romanschriftstellerin, geht es vorrangig um die Darstellung einer bi- und multikulturellen Existenz: Sie versteht unter einem Chicano-Schriftsteller eine Person, die ganz bewusst die von den Weißen gesetzten Maßstäbe infrage stellt und ihre ethnische und soziale Lage in den USA als neokolonialistischen Status betont.In ihrem Werk wie in dem vieler anderer Autoren, die weltweit die Erfahrungen der Migration verarbeiten, wird deutlich, was diese Literatur neben der individuellen Bearbeitung der eigenen Biographie oder der Situationsklärung für die eigene Gruppe bedeutet: eine Chance für das Aufnahmeland, sich der fremden wie der eigenen Kultur bewusst zu werden, indem es die »fremde« Kultur in ihrer Andersartigkeit anerkennt und indem es den distanzierenden Blick auf die eigene Kultur, den die filternden Augen des »Fremden« ermöglichen, als Erkenntnisgewinn begreift.Dr. Christa Grewe-VolppCommonwealth-Literatur, herausgegeben von Jürgen Schäfer. Düsseldorf u. a. 1981.IIMigrạntenliteratur[zu lateinisch migrans, migrantis »wandernd«], unscharfer Sammelbegriff für literarische Werke, deren Autoren nach der Lösung aus ihrem kulturellen und sprachlichen Umfeld schreiben, um die Probleme der Migration zu artikulieren. Der Übergang zur Exilliteratur ist fließend.In der Bundesrepublik Deutschland wurde der Begriff etwa seit Mitte der 1960er-Jahre gebraucht für Werke eingewanderter Autoren, die teils in deutscher Sprache, teils in der jeweiligen Muttersprache verfasst und ins Deutsche übersetzt veröffentlicht wurden. Die Bezeichnung »Gastarbeiterliteratur« erfasst nur einen Teil der Werke (teilweise synonym wird »Immigranten«- beziehungsweise »Ausländerliteratur« gebraucht). Zentrale Themen der Migrantenliteratur sind u. a. Arbeitsemigration, Verlust der Heimat, Kulturschock, Einsamkeit und Entfremdung, Kommunikationsschwierigkeiten, die besonderen Lebensbedingungen von Frauen und die Diskriminierung. Hinzu kam durch die Vertreter der nachfolgenden Generation, die in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen sind, die spezifische Problematik des Lebens von Jugendlichen, meist verbunden mit der Forderung nach Möglichkeiten »interkultureller Identitätsentwicklung« oder einer »Integration ohne Selbstaufgabe«.Zu den bekanntesten Autoren werden heute gerechnet: aus der Türkei Levent Aktoprak (* 1959), Fakir Baykurt (* 1929), Habib Bektas (* 1951), Güney Dal (* 1944), Sinasi Dikmen (* 1945), Aras Ören (* 1939), Aysel Özakin (* 1942), Yüksel Pazarkaya (* 1940), Feti Savasci (* 1930), Saliha Scheinhardt (* 1951), Renan Demirkan (* 1955), Zafer Senocak (* 1961), Alev Tekinay (* 1951); aus Tschechien (vorher ČSSR) O. Filip, Libuše Moníková; aus Italien Carmine Abate (* 1955), Vito d'Adamo (* 1927), Franco Biondi (* 1947), Gino Chiellino (* 1946), Giuseppe Fiorenza dill'Elba (* 1923), Giuseppe Giambusso (* 1956); aus dem Libanon Yusuf Naoum (* 1941); aus Syrien R. Schami, Suleman Taufiq (* 1953), Adel Karasholi (* 1936); aus Iran Cyrus Atabay (* 1929, ✝ 1996); aus Spanien Antonio Hernando (* 1928), José F. A. Oliver (* 1961); aus Bosnien D. Karahasan; aus Jugoslawien Zvonko Plepelić (* 1946); aus Griechenland Tryphon Papastumatolos (* 1951), Eleni Torossi (* 1947), Miltiades Papanagnon (* 1933). Publiziert wurden ihre Texte zunächst oft in Migrantenzeitschriften, Literaturzeitschriften und Anthologien. Besondere Förderung erfuhr die Migrantenliteratur durch Kunstvereine, Stiftungen und Preise, so z. B. den Adelbert-von-Chamisso-Preis, der für die deutsche Literatur von Autoren nichtdeutscher Muttersprache von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vergeben wird.U. Reeg: Schreiben in der Fremde (1988);
Universal-Lexikon. 2012.